Der Panther (1902/03) - Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Der Panther - Rainer Maria Rilke

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

So müd geworden, dass er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

Und hinter tausend Stäben keine Welt.



Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

Der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

Ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

In der betäubt ein grosser Wille steht.



Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

Sich lautlos auf. - Dann geht ein Bild hinein,

Geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein.


Quelle des Gedichts:
Braun, Felix (Hrsg.)
Der Tausendjährige Rosenstrauch, Deutsche Gedichte, 11.Auflage, München 2001, S. 571.

Quelle Bild:
https://www.publicdomainpictures.net/en/view-image.php?  image=262652&picture=panther

Wer sich das Gedicht anhören will, findet unter diesem Link (https://www.youtube.com/watch?v=cRuWSRjioos) eine Rezitation von Fritz Stavenhagen



Formale Analyse:


Dieses Werk besteht aus drei Strophen mit je vier Versen. Jede Strophe besteht aus einem bis zwei Sätzen, die sich über die Verse erstrecken, es sind also Enjambements. Jede Strophe hat ein eigenes Thema, so wird in der ersten Strophe auf den Blick des Panthers eingegangen, in der zweiten auf seinen Gang und in der letzten wird sein innerer Zustand aufgezeigt. Insgesamt hat das Gedicht zwölf Verse, die alle, bis auf den Letzten, fünfhebige Jamben aufweisen. 

Die Versenden reimen sich durch Kreuzreime (abab cdcd efef). Beim Vorlesen hört man durch dieses Reimschema und die Jamben einen Rhythmus heraus, der den Gang des Panthers hervorhebt. Es kommen männliche und weibliche Kadenzen vor, die sich ohne Regelmässigkeiten abwechseln. 

Die ersten beiden Strophen können von einem Sprecher beobachtet werden. Sie gehen auf Äusserlichkeiten, den Panther und seine Umgebung ein. In der dritten Strophe aber, geht es um das Innere des Tieres, etwas was man nicht durch genaues Betrachten beschreiben kann. Das charakterisiert die Dinglyrik. Das Gedicht ist aus der Sicht eines Sprechers geschrieben, der jedoch nur im Hintergrund wirkt. 
Das Gedicht hat aber auch elegische Elemente, weil die Lebensweise des Panthers beklagt wird.

Kurzbiographie des Autors:


Rainer Maria Rilke wurde 1875 in Prag geboren. Sein Vater war Bahnbeamter, seine Mutter, Tochter einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie und unglücklich in ihrer Ehe. Den frühen Tod ihrer ältesten Tochter konnte sie nicht verkraften, deshalb wurde René (=der Widergeborene) Maria Rilke, wie er damals noch hiess (später wechselte er seinen Namen), in die Rolle seiner verstorbenen Schwester gedrängt, was die Kinderfotos von ihm mit langen Haaren und Kleidchen erklärt. 

Rainer Maria Rilke, der schon zu Kindszeiten dichterisch begabt war, besuchte unfreiwillig eine Militärrealschule in Niederösterreich, was ihn eher traumatisierte, als förderte. Darauf machte er die Matura und begann Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie zu studieren.

Ab 1902 lebte Rainer Maria Rilke in Paris, wo seine "Neuen Gedichte", eine, aus zwei Teilen bestehende, Sammlung von Gedichten Rilkes zu denen auch "Der Panther" gehört, entstanden.
Rainer Maria Rilke beeinflusste mit seinen Werken vor allem die Dinglyrik, weshalb er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne gilt. 

In der Dinglyrik geht es darum, etwas so zu beschreiben, als ob es von sich selbst sprechen würde. Das lyrische Ich tritt somit in den Hintergrund. 

"Der Panther ist eines seiner berühmtesten Dinggedichte. Inspiriert wurde er vermutlich bei einem Besuch im "Jardin des Plantes" in Paris, einem Botanischen Garten, in dem unter anderem ein schwarzer Panther ausgestellt wurde, der im Gedicht durch die Gitterstäbe hindurch beschrieben wird.

Dieses war eines der ersten Gedichte bei dem Rilke eine Dingbeschreibung umsetzte. In diesem Fall am Beispiel eines Tieres, dem Panther.

Inhaltsangabe: 


Dieses Dinggedicht, das Rainer Maria Rilke zwischen 1902 und 1903 geschrieben hat, beschreibt einen, in Gefangenschaft lebenden Panther, der sich in seinem Käfig hin und her bewegt. 
In der ersten Strophe werden vor allem seine äussere Gestalt und seine Umgebung, der Käfig umschrieben, welche auf den Gemütszustand des Tieres schliessen lassen. Die Gitterstäbe, die ihn von der Aussenwelt trennen langweilen und betrüben ihn und machen sein Leben eintönig.

Die zweite Strophe gibt Auskunft über das Verhalten des Panthers. Im ersten Vers wird sein Gang beschrieben, und dass er, obwohl er auf kleinstem Raume eingesperrt, noch immer eine mächtige Raubkatze ist. Jedoch benebelt die Gefangenschaft seine Willenskraft, das Leben eines stolzen Panthers zu leben.

Nur manchmal kommt es vor, dass er sich besinnt und durch die Gitterstäbe die Welt betrachtet. Allerdings können diese Bilder in ihm nichts ausser Enttäuschung und Einsamkeit bewirken, da die Aussenwelt keinen Platz in seinem Leben hat und seine Eindrücke, auf die in der dritten Strophe eingegangen werden, leblos sind.

Sprachliche Besonderheiten:


Das Gedicht besteht aus fünf Sätzen, verteilt auf drei Strophen, die auf drei Verschiedene Aspekte eingehen. Jeder Vers gibt in verschachtelter Art und Weise, etwas über den Panther preis. Das Gedicht ist so aufgebaut, dass man mit jeder Strophe, dem Panther etwas näherkommt, ihn etwas besser kennt und immer besser nachvollziehen kann, was in ihm vorgeht.
Ich nehme an, dass die Enjambements aus diesem Grund so angewendet wurden. Sie schaffen einen gegliederten, übersichtlichen Effekt, was das Lesen und Interpretieren sympathischer macht. Man hat einen Rahmen, an dem man sich festhalten kann.

Im allerersten Vers findet man eine Personifikation der Stäbe. "Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe" Sie hebt die Abhängigkeit des Panthers hervor. Logischerweise bewegen sich die Stäbe um ihn herum nur, durch seine eigenen Bewegungen. Aber der Panther lebt in Gefangenschaft. Er ist angewiesen auf die Menschen, die ihn füttern. Somit kommt er sich wahrscheinlich nutzlos vor, weil er nicht seinen natürlichen Jagdinstinkten nachgehen kann. Er ist so unselbstständig und so angewiesen auf äussere Hilfe, dass sich sogar die Stäbe selbst fortbewegen.

Im vierten Vers der ersten Strophe wurde eine Hyperbel eingesetzt. Die Hyperbel ist eine Stilfigur, die etwas durch eine starke Unter- oder Übertreibung beschreibt. Es ist von "tausend Stäben" die Rede (siehe Strophe 1, Vers 4), was dem Panther wahrscheinlich nur so vorkommt, weil er schon so lange in Gefangenschaft lebt und in dem Fall schon oft in seinem Käfig auf und ab gegangen ist. Wenn er im Kreis läuft sieht er so viele Gitterstäbe, dass sie ihm unzählbar vorkommen und kein Ende nehmen.

Mit dem "weichen Gang", den "starken Schritten", dem "Tanz von Kraft um eine Mitte" (vgl. Strophe 2, Vers 1,2,3) wird der Panther von aussen beschrieben. Er sieht aus, wie jeder andere, elegant, kräftig, stark und stolz, obwohl er es nicht ist.
Mit dem "grossen Willen", von dem im letzten Vers der zweiten Strophe die Rede ist, ist seine Sehnsucht nach Freiheit gemeint. Er will frei sein.
Der Panther wird äusserlich beschrieben, wodurch man aber auch in sein Inneres Einblick erhält.  

"Der Vorhang der Pupille" (vgl. Strophe 3, Vers 1) ist eine Metapher und steht für die Gefühle, die der Panther verspüren muss. Er wünscht sich nichts mehr, als die Freiheit, wird aber gefangen gehalten, was ihn so traurig macht, dass er die Freiheit nicht mehr sehen will. "Der Vorhang der Pupille" ist also eine Art Selbstschutz, den er aufgebaut hat, weil ihn jeder Anblick der Aussenwelt noch unglücklicher macht.

Im zweiten Vers der dritten Strophe geht es um ein Bild. Dieses Bild ist vor allem, was der Panther sieht, wenn er nach draussen schaut, aber auch was er fühlt und was das mit ihm macht.
Er sehnt sich nach Freiheit, doch kann sie nicht erlangen und etwas zu sehen, nach dem er nicht greifen kann, bricht ihm das Herz. "Er hört im Herzen auf zu sein" (Strophe 3, Vers 4)


Interpretation:

Gleich der erste Vers der Gedichts weist eine Personifikation auf, die sich auf die Gitterstäbe des Käfigs bezieht.
"Das Vorübergehn der Stäbe" (Strophe 1, Vers 1)
Sie gibt Auskunft über die physische, wie auch die psychische Situation des Panthers, das fällt vor allem beim zweiten Mal durchlesen auf.
Es ist nicht der Panther, der an den Stäben vorbeigeht, sondern umgekehrt. Der Panther ist gefangen und deshalb Abhängig (siehe: Sprachliche Besonderheiten, 2.Absatz), aber er ist auch zu tiefst unglücklich. Das Leben in Gefangenschaft hat seine Sinne so abgestumpft, dass selbst die Gitterstäbe an ihm vorübergehen, als wären seine Taten nutzlos und ohne Grund. Er kann aus seinem Käfig nichts bewirken.

Im zweiten Vers kommt das Adjektiv "müd" vor, das sich auf den Blick des Panthers bezieht und vermuten lässt, dass er schon lange in diesem Käfig eingesperrt ist. Weiter geht es mit dem dritten Vers: "Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe". Der Panther ist gefangen. Die Gitterstäbe trennen ihn von der Aussenwelt und der Wildnis, wo er natürlicherweise hingehören würde. Das, sich immer wiederholende Auf- und Abgehen ist zu einer Routine geworden und kein Ende ist in Sicht. (Siehe Strophe 1, Vers 3)
"Und hinter tausend Stäben keine Welt" (Strophe 1, Vers 4) Der Panther blendet die Welt um sich herum aus. Sein Leben ist auf den Käfig eingeschränkt, alles andere ist nicht seine Realität.


Die Grundaussage der ersten Strophe ist, dass sich der Panther mühselig damit abfinden muss, dass er eingesperrt ist und die Gitterstäbe ihn vor der Freiheit trennen.


In der zweiten Strophe wird der Panther als mächtige, kraftvolle Gestalt beschrieben (vgl. Strophe 2, Vers 1: "der weiche Gang", "Starke Schritte"), wie er in den Augen seiner Betrachter vielleicht scheinen mag. Doch er hat keinen Platz sich zu entfalten. (vgl. Strophe 2, Vers 2: "der sich im allerkleinsten Kreise dreht") Von innen ist er schon lange nicht mehr das, wonach er aussieht.
Im dritten Vers der zweiten Strophe werden seine Bewegungen mit einem Tanz verglichen, was daraus schliessen lässt, dass sich der Panther so elegant und andächtig bewegt, als ob er tanzen würde. Allerdings ist sein "Wille betäubt" (Strophe 2, Vers 4)

Der Panther sehnt sich nach Freiheit. Sein Wille ist jedoch aussichtslos, da er gefangen ist. Die Gefangenschaft hat seine Sinne abgestumpft, so dass er fast nicht mehr auf seine Sehnsucht nach Freiheit anspricht.
Er sieht nur manchmal nach draussen und lässt einen Eindruck zu. (vgl. Strophe 3, Vers 1+2) Der hinterlässt jedoch nur Traurigkeit und eine Sehnsucht ohne Aussichten.

Das Gedicht endet mit: "Und hört im Herzen auf zu sein" (Strophe 3, Vers 4)
Die Bilder haben keine Wirkung in ihm, da er durch die unumgänglichen Gitter, abgeschnitten ist von der Welt und seine Sinne sterben mit den Eindrückten, die er erlangte in ihm ab.


Nachdem ich mich etwas vertiefter mit Rainer Maria Rilkes Lebenslauf auseinander gesetzt habe, wurden mit viele Parallelen zwischen dem Panther und Rilke bewusst.
In einem gewissen Sinne hat auch Rilke in einem Käfig gelebt. Seine Mutter hat ihn in das Leben seiner Schwester gedrängt und er musste zu jemandem werden, der er nicht war, genau wie der Panther.
Rilke hat vielleicht dieselben Dinge gefühlt, wie der Panther und konnte das Gedicht aus diesen Erfahrungen heraus entstehen lassen.
Man weiss nicht, ob der Panther jemals in Freiheit leben wird, aber Rainer Maria Rilke hat seine Freiheit im Schreiben von Gedichten gefunden.


Ein kleiner Kommentar: 

Im Vergleich zu den anderen Gedichten, ist dies das einzige aus der Sicht eines gefangenen Tieres, was es herausstechen lässt. Aber auch dieses Gedicht kann man mit dem Alltagsleben vergleichen, wie am Beispiel von Rilke selbst. Jeder fühlt sich manchmal, wie in einem Käfig eingesperrt. Das Gedicht wurde zu einer Zeit geschrieben, als Freiheit noch nicht das bedeutete, wie das, was wir heute darunter verstehen. Trotzdem finde ich, dass das Gedicht durchaus Moderne Aspekte enthalten hat.

Für mich ist dieses Gedicht ein bisschen das Gegenstück zu "Verschieden aber zufrieden".
Das Gedicht von Rainer Maria Rilke beschreibt ein Tier, das jemanden sein muss, der es nicht ist, was es viel Kraft kostet und unglücklich macht. 

Günter Strohbach zählt in seinem Gedicht Eigenschaften verschiedener Tiere auf, die zufrieden mit sich sind. Es bringt uns den schönen Aspekt von Verschiedenheit. 
















Kommentare

  1. Liebe Lea
    Ich möchte Dir zuerst ein riesen Kompliment dafür geben, dass dein Blog so schön geworden ist, obwohl Du gesagt hast, dass du so etwas noch nie gemacht hast. Deine Bilder passen perfekt zu den Gedichten und runden das Ganze schön ab. Der schwarze Hintergrund ist schön und schlicht und verleiht so den Bilder mehr Kraft. Kraft in den Farben und ihrem Ausdruck. Die Gedichte die Du ausgewählt hast, sind wunderschön und ich kann es sehr gut verstehen wieso Du diese Geditche für dein Thema ausgewählt hast. Durch die Beschreibung über dich, weiss ich nun auch was du tun wirst und wie du vorgehst. Deien Interpretationen sind gut nachvollziehbar und erklären mir das Gedicht noch viel besser. Ich finde allgemein passt das Thema volkommen zu dir. Die Website finde ich sehr übersichtlich.

    Mir ist aufgefallen, dass Du dich ein Jahr jünger beschrieben hast, als Du eigentlich bist. Ich denke, dass es aber nicht wirklich schlimm ist.

    Bei dem ersten Gedicht hast du keine Tabelle benutzt für die Formle Analyse im Gegensatz zu den anderen Gedichten. Es wirkt dadurch ein wenig unharmonisch.

    Bei diesem Gedicht ist mir noch aufgefallen, dass Du bei den Sprachlichen Besonderheiten einen kleinen Schreibfehler gemacht hast ( was in hm vorgeht-> was in ihm vorgeht). Aber das hast Du sicher schnell korrigiert.

    Mir sind aber keine weiteren Makel aufgefallen. Ich hoffe Du bleibst noch fleissig an deinem Blog dran und das Du auch noch weiterhin viel Spass daran hast.
    lg Rebecca

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    1. Hallo Rebecca
      ich musste lachen, als ich deinen Kommentar gelesen habe, aber du hast natürlich recht. Ich habe mich in meinem eigenen Alter vertan und habe den Post nun korrigiert. Zudem habe ich die Gedichte vereinheitlicht, damit es harmonischer wirkt und schöner aussieht. Der Grund für die verschiedenen Formatierungen war, dass das Einfügen der Tabellen nicht überall funktionierte. Jetzt sollte aber alles stimmen.
      Danke für die Anregungen
      Gruss Lea

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